Donnerstag, 5. Juli 2012

Lese-Gen

Ja, stellt euch vor, ich hab es noch: Mein allererstes Buch, in Zürcher Dialekt (ja, Zürcher, liebe Deutsche, Züricher ist falsch, es heißt Zürcher, auf Schweizer Hochdeutsch). Damals lernte man in der ersten Klasse nur Mundart lesen und schreiben, erst ab der zweiten Klasse wurde dann Schriftdeutsch gelehrt und gesprochen.  Ich habe das Buch Ende der ersten Klasse zum Geburtstag erhalten, war also sechs Jahre alt. Natürlich hatte ich vorher schon Bilderbücher, dies war das erste, das wie ein richtiges Buch aussah und das ich selber las - stolz wie eine Königin. Es war der Beginn einer großen Leidenschaft und eine Leseratte war geboren.

Ich weiß  nicht mehr, wann ich angefangen habe, unter der Bettdecke zu lesen (mehr als einmal hat die Glühlampe ein Loch ins Leintuch gebrannt). Warum? Damit die Eltern von draußen nicht sahen, dass Licht im Zimmer war. Ich sollte ja schlafen. Manchmal ließ ich die Beleuchtung im Korridor an, legte mich auf den Boden und las bei dem Streifen Licht, der unter der Tür herein schien. Später las ich, statt zu lernen. Dann verschwand das Buch blitzschnell unter Heften und Schulbüchern, wenn die Mutter zur Tür herein kam. Ich musste immer etwas zu Lesen haben. Beim Frühstück las ich jeden Tag die Aufschrift auf der Forsanose-Büchse. Immer das Gleiche. Forsanose gibt es schon lange nicht mehr, das war ein Kakaogetränk, welchem ich verdanke, dass ich das Wort Rekonvaleszenz viel früher lesen und schreiben konnte, als ich es verstand.


Wenn ich lese, bin ich weg. Unansprechbar. Man muss schon mehrmals rufen, bis ich reagiere. Komisch eigentlich, dass man mir nicht viel mehr Bücher geschenkt hat in meinem Leben, oder wenigstens Büchergutscheine. So gab und gebe ich nicht gerade wenig Geld aus - Bibliotheken waren nie wirklich eine Alternative für mich, ich wollte die Bücher besitzen. Dass es nicht gar zuviel wurde, verdanke ich der Tatsache, dass ich Bücher mehrmals lesen kann. Gute Bücher lese ich beim ersten Mal auf Inhalt. Beim zweiten Mal genieße ich die Sprache. Und beim dritten Mal versuche ich, mir vorzustellen, was der Autor so für ein Mensch (gewesen) sein könnte. Auch  weniger gute, aber spannende Bücher kann ich problemlos mehrmals lesen: nach einigen Jahren kann ich die Story ausblenden und sie wieder lesen, als wäre es das erste Mal. Schlechte Bücher lese ich nicht. Ach ja - a propos Ausgaben:  Inzwischen habe ich ja einen e-book-reader, damit kann man dank PDF und kostenlosen Kindle-Büchern auch Einiges sparen.

Um auf mein erstes Buch zurück zu kommen: Die Geschichten triefen alle vor Moral und erzieherischem Wert - aber ich liebte sie. Man sieht es dem Buch an, wie oft ich es gelesen habe.

Ich zeige euch ein paar Seiten, zum Schmökern (man kann die Bilder mit Klick vergrößern, dann kann man den Text ganz gut lesen). Die Bildlegenden dürften durch die Bilder erklärt sein, der Rest ist wahrscheinlich für Nicht-Schweizer eher schwer zu verstehen. Auch ist natürlich die Sprache alles andere als zeitgemäß - die Erstausgabe stammt aus dem Jahr 1928 - meins ist aus der 13. Auflage, 1957. 




Ich habe während meines Lebens immer wieder versucht, anderen zu vermitteln, wie toll Lesen ist. Dass es viel spannender und bereichernder ist, sich die Szenerien selber vorzustellen, als sich einfach via Film diejenige irgend eines Regisseurs reinzuziehen (ganz abgesehen von den vielen Werken, die nie verfilmt wurden und die deshalb Nicht-Lesern von vorneherein entgehen). Es war mir nicht viel Erfolg beschieden. Ich glaube fast, Leseleidenschaft kann man nicht anerziehen. Entweder man hat sie, oder eben nicht. Vielleicht gibt es ein "Lese-Gen"? Leider habe ich meines nicht weitervererbt.... :(

Wär nett, wenn der eine oder andere Bücherwurm hier in einem Kommentar sein erstes Buch vorstellen würde!

3 Kommentare:

  1. Dieses Buch habe ich auch noch! Mein erstes bekam ich zum 3. Geburtstag, das war ein SJW-Heftchen mit dem Titel "Komm Busi, komm", hab ich auch noch! Ich fürchte, das Lese-Gen habe ich ebenfalls, auch ich las unter der Bettdecke (allerdings mit Taschenlampe) und statt Hausaufgaben zu machen. Und ich lese meine Bücher auch mehrmals. Fernsehen langweilt mich, weil da meine Fantasie nicht gefordert ist, deshalb besitze ich auch keinen Fernseher, weder hier in Portugal noch in der Schweiz. Mir scheint, wir haben da einiges gemeinsam.

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  2. :) SJW Heftli! Die habe ich leider nicht mehr - bei irgendeinem Umzug oder einer Grümplete sind die wahrscheinlich aussortiert worden. Dafür existiert noch ein Exemplar von "De Joggeli söll go Birli schüttle" - allerdings nicht aus meiner Kindheit sondern aus der meiner Söhne.

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  3. An mein erstes Buch, das ich außerhalb der Schule bekommen habe, kann ich mich nicht erinnern, schätze aber, dass es in Schreibschrift geschrieben war.
    Als Kind war ich eine Leseratte und habe mir fast jede Woche Bücher aus der Bibliothek geliehen.

    Aber Du hast mich inspririert mal nach meiner Fibel zu suchen und ich habe sie tatsächlich im Regal gefunden. Da werden Erinnerungen wach. http://www.buchfreund.de/covers/14504/12623.jpg

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